Thursday, June 4, 2015

Nachruf

Nein, wir werden nicht um Dich trauern!

Wir werden lachend froehlich Deinen Traum leben, Dich stehts bei uns im Herzen tragen.

Aber fangen wir von vorne an.

Vor rund 11 Jahren lief ich durch eine enge Seitenstrasse im Londoner Soho als mich etwas traf. Und zwar traf mich ein Teil eines einstuerzenden Balkons aus dem ersten Stock ueber mir.

Ich hab geblutet wie ein Schwein.

Und ich hab geflucht wie ein Seeraeuber - aber offenbar auf deutsch. Und wie ich so da in der Gosse sass und in die Menge um mich herum schaute, da kamst Du, Dich durchzwaengend durch die Menge zu mir und hast mir irgendwas auf die Platzwunde am Kopf gedrueckt.

Und Du hast mir auf deutsch gesagt, ich soll doch endlich mal mit der bloeden Flucherrei aufhoeren.

Das und noch viel mehr die groessten und schoensten und braunsten Augen, die mich je aus 30cm Entfernung angeschaut haben, haben mir offenbar die Sprache verschlagen.

Solange zumindest, bis Du festgestellt hattest, dass nicht nur mein Kopf ramponiert war, sondern auch mein rechter Arm in einer ganz unnatuerlichen Stellung verdreht war. "Tut das gar nicht weh?" meintest Du, als Du auf den Arm gezeigt hast. Und dann tat es weh, erbaermlich sogar.

Mein Glueck, dass Du Aerztin warst. Gerade erst fertig mit dem Studium zwar, aber schon damals verdammt gut. Du warst zwar nur rein zufaellig vor Ort, hast mich aber fantastisch erstversorgt und dem Team im Rettungswagen eine perfekte Uebergabe gemacht, was wiederum im Krankenhaus alles einfacher gemacht hat.

Und dann warst Du weg und ich bekam Panik. Denn ich wusste damals schon, dass mein Leben niemals mehr das gleiche sein wuerde.

Liebe auf den ersten Blick? Daran hab ich nie geglaubt. Klar habe ich auch damals schon geliebt gehabt, mit 39. Ich war gluecklich und ungluecklich verliebt. Bis ich damals in London in der Gosse, mittelschwer verletzt, ploetzlich die Liebe auf den ersten Blick kennenlernen durfte.

Und dann warst Du weg. Und ich war verzweifelt.

Beim Aufwachen nach der OP war mein erster Gedanke bei Dir - ich wusste nicht einmal Deinen Namen und mir war recht schnell klar, dass ich Dich nie mehr wiedersehen wuerde.

Bis Du dann da auf dem Stuhl gesessen hast, als ich in mein Zimmer geschoben wurde. Du und ein riessiger Strauss Blumen.

Spaeter habe ich Dich einmal gefragt, warum Du ins Krankenhaus gekommen warst. Und Du hast lapidar gesagt: "Na, ich hab Deinen Blick gesehen und wusste, dass ich Dich so schnell nicht wieder loswerden wuerde...

Und irgendwie waren wir ab da zusammen. Zwei Monate spaeter habe ich meine Sachen in Durban und Du Deine Sachen in Sevilla zusammengepackt und wir sind in London in eine suesse kleine Zweizimmerwohnung gezogen.

Du warst damals bei dem Unfall in London gerade als Touri unterwegs. Dein Studium seit einigen Monaten fertig, das erste Geld als Unfallchirurgin verdient und eine Freundin auf ein langes Wochenende in London besucht. Du bist Spanierin, mit einem deutschen Vater und hattest in Sevilla gelebt.

Ich war beruflich in London. Ich lebte in Durban in Suedafrika, wo ich geboren bin und die ersten 5 Jahre meines Lebens gelebt hatte. Und nach einer langen Scheidungsschlacht habe ich Deutschland den Ruecken gekehrt und bin ein Jahre vorher, nach dem Tod meiner deutschen Mutter, zu meinem suedafrikanischen (oder besser gesagt burischen) Vater gezogen.

Was Du an mir fandest, habe ich mich immer gefragt. Nicht dass ich kein Selbstbewusstsein hatte oder habe. Ich fand mich immer als recht gutaussehend und intelligent unterhaltsam bin ich auch, wie man mir bescheinigte.

Aber Du warst damals 15 Jahre juenger als ich und ein Traum von einer Frau. Bildhuebsch - ja sogar modelmaessig schoen. Dazu super intelligent und extrem selbstbewusst. Du haettest jeden kriegen koennen. Und dann hat ein Blick in der Gosse gereicht, um die naechsten 11 Jahre mit mir zu verbringen. Versteh einer die Frauen.

Du hast gesagt, dass ich Dich auf Haenden trage und dass ich mit Dir Deinen Traum aufbaue. Aber das wusstest Du doch damals alles gar nicht...

Dein Traum war eine Grossfamilie. Und so war es nicht lange hin, bis Du schwanger wurdest - und schwanger bliebst, fast durchgehend fuer 10 Jahre... 7 Kinder in weniger als 10 Jahren!

Und trotzdem hast Du Karriere gemacht in London. Ich hab Dir den Ruecken freigehalten und zu einen guten Teil die Kinder versorgt. Meine kleine Firma hat uns das zum Glueck ermoeglicht.

Als Nummer 1 kam, war unsere Welt perfekt. Du konntest das Glueck gar nicht fassen. Als Nummer 2 kam, sind wir aufs Land gezogen und als Nummer 3 da war, da meinten unsere Freunde, ob wir nicht ein wenig uebertreiben.

Aber da wir beide extrem Spass im Bett hatten und dazu natuerlich Dein Traum zu erfuellen war, gaben wir noch mehr Gas. Keiner von uns beiden hatte eine Ahnung, wie lange das so noch weitergehen sollte. Aber Deiner Gesundheit hatten die Schwangerschaften nicht geschadet und wir konnten es beide jedesmal kaum erwarten, bis wir "es" wieder tun konnten.

Weihnachten 2014. Du bist schwanger mit Nummer 7, Termin ist Ende Maerz.

Wir machen nach deutscher Tradition schon am Heiligabend Bescherung und Gaense-Essen. Deine Mutter war da.

Das Leben war perfekt.

Bis...

Bis Du dann 2 Tage spaeter einkaufen gefahren bist. "Ich fahr mal alleine los", sagtest Du und gabst allen einen Kuss - Du bist nie aus dem Haus gegangen, ohne jedem einzelnen einen zaertliche Kuss zu geben.

"Mach keinen Mist mit den Kids" waren die letzten Worte, die ich jemals von Dir gehoert haben sollte.

Es war schon dunkel draussen und Du wolltest gerade ins Auto steigen. Da hat Dich jemand mit ueberhoehter Geschwindigkeit erfasst und Dich 15 Meter weiter geschleudert. Der oder die Fahrerin fuhr einfach weiter und wurde nie gefasst.

Deine Mutter blieb bei den Kindern, ich bin ins Krankenhaus gefahren. Wie durch ein Wunder warst Du noch am Leben und Nummer 7 in Deinem Bauch auch.

Aber Du hattest schwerste Kopfverletzungen und nach 15 Stunden OP hat man Dich fuer Hirntod erklaert. Nummer 7 war aber anscheinend wohlauf.

So hat man Dich bis zum 21. Feburar am Leben gehalten, an Maschinen angeschlossen. Nummer 7 wurde am 20 Februar per Kaiserschnitt - Dein erster - geholt. Wir haben aber entschieden, erst am darauffolgenden Tag die Maschinen abzustellen. Wir wollten nicht, dass Dein Todestag auf den Geburtstag von Nummer 7 faellt.

Deine Mutter, Nummer 1 und 2 und natuerlich ich waren dabei, als Du gestorben bist.

Du warst die wunderbarste Frau, die wunderbarste Mutter, die wunderbarste Tochter und Schwester. Ich danke Dir von ganzem Herzen fuer 11 fantastische Jahre und fuer 7 tolle Kinder.

Warum durftest Du Deinen Traum nicht fertig leben?

Wir trauern nicht um Dich.

Wir leben lachend froehlich Deinen Traum, Dich stehts bei uns im Herzen tragen.

12 comments:

  1. Mir fehlen die Worte. Das ist harter Tobak, wenn - ich will dir nicht zu nahe treten; ins Internet wird eine Menge geschrieben - wenn die Geschichte stimmt. Also, wenn die Geschichte nicht erfunden ist, wünsche ich dir, dass bloggen dir hilft.

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  2. Ob das Bloggen helfen wird, werden wir sehen. Auf jeden Fall wird es - sollte ich dauerhaft durchhalten - ein Vermächtnis an die Kids.
    Und es hat mich einfach mal dazu gebracht, nichts "wichtiges" zu machen. Einfach mal meinen Gedanken ihren Lauf zu lassen.
    Und nachdem dieser eine "schwere" Post gemacht ist, denke ich dass auch viele lustige Dinge folgen können...

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  3. Och, so'n Blog muss nicht immer lustig sein.

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  4. Was für eine unglaubliche Geschichte, was für ein unglaubliches Schicksal, welch bewundernswerter Mut und welch beispielhafte Lebensbejahung!!!!!!!!!! ich zieh den Hut- Chapeau. und ich werde dich- euch- online weiter begleiten. Liebe Grüße, kerrha

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  5. Ich finde den Blog klasse und wünsche viele Einträge von Nr. 1-Nr. 7 und dem mutigen Papa

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  6. Wie traurig das ist, mein Beileid. Viel Glück und Spaß mit den Kids. Zumindest der Täter möge gefasst werden.

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    1. Danke!
      Keine Chance - bei solchen Sachen (sagte man mir) findet man den oder die in den ersten 48 Stunden oder gar nicht.
      Ich weiss ehrlich gesagt auch gar nicht, ob ich das noch moechte. Prozess, Publicity, die ich bisher vermeiden konnte. Alles monatelang wieder aufwaermen? Wem hilft's?
      Und das arme Schwein von Fahrer - absichtlich war's ja nicht. Noch ein Leben kaputtmachen?
      Rache? Nicht mein Ding. Und sie haette das auch nicht gewollt...

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  7. Hi,
    ich verliere gerade jemanden, den ich sehr liebe: meine Schwester. Deine wunderschöne Beschreibung lässt mich weinen, aber ich werde den Link an ihre Nr. 1 und Nr. 2 weitergeben.

    Danke

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    1. Das ist schlimm - ich hoffe, Du ueberstehst das. Es ist bestimmt nochmal ganz anders, wenn man das vorher weiss und darauf warten muss. Bei mir kam der rihtige Schlag eigentlich erst letzte Woche, als ich erstmals ein wenig Zeit hatte und das ganze realisieren konnte...

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  8. Das ist das traurigste, was ich in diesem Jahr gelesen habe. Ich hoffe, das schreiben hilft dir!
    Ich kann dir das Buch hier empfehlen:
    http://www.amazon.de/Vier-minus-drei-Verlust-Familie/dp/3778792172

    So einen Schicksalsschlag zu erdulden (auch für die Kinder) ist nicht einfach und ich wünsche dir viel Kraft!
    Eine Familie zu gründen und sich beruflich auch zu festigen, das wünscht sich jeder.
    Dann ist das Wunschkind auf dem Weg, alles ist geplant und man freut sich... und du stehst als Vater plötzlich alleine mit 6 Kindern und einem Säugling da. Gleichzeitig musst du deine Frau beerdigen und die Familie finanziell über Wasser halten. Das Schicksal ist ein mieser Verräter.

    Auch wenn ihr das wahrscheinlich erst jetzt alle realisiert und das Familienleben umgekrempelt werden muss, kann ich nur sagen: RESPEKT!
    Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde...


    # Abschließend: Mein Beileid!


    lg

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    1. Ich danke Dir - und das Buch werd ich mal anschauen.

      Es ist erstaunlich, was man so alles schafft - aber ohne den tollen Zusammenhalt in meiner Familie (und ohne Schwiegermama) haette ich nicht bis hierher durchgehalten...

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